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Von Thomas Kammler

Neues aus der Wissenschaft: Was hat es mit dem Lungen-Mikrobiom auf sich?

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In der Onlineausgabe der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature“ wurde im Februar dieses Jahres eine sehr spannende Studie veröffentlicht. Sie zeigt, wie die mikrobielle Flora der Lunge mit der Immunbereitschaft des Gehirns zusammenhängt.
Immer stärker rückt der Fokus der Medizin auf die Erforschung der Darmflora, also des Mikrobioms im Darm. Doch auch an anderen Stellen des Körpers sind die körpereigenen Bakterien immens wichtig, beispielsweise die bakterielle Flora der Haut oder die der Schleimhäute. Dass eine solche Flora auch in der Lunge existiert, wissen die wenigsten. Welche Funktionen diese Lungenflora hat, ist auch in der Wissenschaft noch weitestgehend unerforscht.

Warum braucht die Lunge überhaupt eine bakterielle Flora?

Damit die Lunge ihre Hauptfunktion, nämlich den Körper mit lebenswichtigem Sauerstoff zu versorgen und CO2 abzuatmen, wahrnehmen kann, hat sie eine sehr ausgedehnte Austauschfläche mit der Außenwelt. Rund 100 m2 treten mit der Luft in den Bronchien in Kontakt. Da hierüber auch Erreger wie Viren und Bakterien aufgenommen werden können, erfordert diese Kontaktfläche auch einen entsprechenden Schutz gegen solche potentiell gefährlichen Eindringlinge. Dennoch ging man lange Zeit davon aus, dass die Lunge nicht bakteriell besiedelt ist. Neuere Forschung zeigt jedoch, dass dies eine Fehleinschätzung war, wenngleich die Menge an Mikroben zum Beispiel im Vergleich zur Darmschleimhaut relativ gering ist. Umso erstaunlicher, dass im Rahmen der Studie bereits eine leichte Veränderung dieser Flora die Anfälligkeit des Gehirns für die Entwicklung einer Autoimmunerkrankung deutlich beeinflussen konnte.

Wie hängen Autoimmunerkrankungen mit der Lungenflora zusammen?

Mit Blick auf die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose wurde nun herausgefunden, dass die mikrobielle Flora der Lunge eng mit der Anfälligkeit des Gehirns für solche Entzündungsprozesse zusammenhängt. Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen konnten zeigen, dass das Lungenmikrobiom die Aktivität der „Immunzellen im Gehirn“, der sogenannten „Mikroglia“ steuert – man spricht daher von der Lunge-Hirn-Achse. Mikroglia tasten mit kleinsten Zellfortsätzen permanent ihre Umgebung ab, um eine mögliche Gefahr durch Infektionserreger zu erkennen und wie andere Immunzellen, Alarm zu schlagen und Abwehrreaktionen des Körpers einzuleiten. Die Forscher stellten fest, dass nach der Gabe von Antibiotika die feinen Verästelungen der Mikroglia verkürzt und verdickt waren. Sie reagierten zudem weniger auf Entzündungssignale. Die Folge: Es wurden weniger Abwehrzellen in das entzündete Gehirngewebe entsendet.
„Das Lungenmikrobiom wirkt daher als eine Art Frühwarnsystem für das empfindliche Gehirngewebe“, so Prof. Francesca Odoardi, eine der Autorinnen der Studien-Publikation.

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Was kann aus diesen Erkenntnissen folgen?

Einwirkungen auf die Lunge könnten demzufolge auch Auswirkungen auf das Gehirn haben. Solche Einflüsse könnten nicht nur durch Antibiotikagaben, sondern beispielsweise auch durch Umweltverschmutzung, Rauchen oder Infektionen der Lunge geprägt sein – mit ähnlichen Folgen wie bei der Darmflora. Andersherum könnte man sich dieses Wissen aber auch therapeutisch zunutze machen, indem man das Mikrobiom der Lunge unterstützt. Bisher gibt es hierzu jedoch noch keine Behandlungsoptionen.
Für das Darm-Mikrobiom weiß man, das man dieses durch die Gabe von Probiotika unterstützen kann. Informationen zum Darm-Mikrobiom und den möglichen Auswirkungen von Antibiotika auf das Mikrobiom des Darms finden Sie im Anwendungsbereich Darmgesundheit

Literatur:

Quellenangaben & weiterführende Literatur

Artikel

  • Originalpublikation: Leon Hosang, Roger Cugota Canals, Felicia Joy van der Flier, Jacqueline Hollensteiner, Rolf Daniel, Alexander Flügel & Francesca Odoardi: "The lung microbiome regulates brain autoimmunity" Nature 2022*

Weblinks

*: Bei Literatur: Erscheinungsjahr; bei Webseiten: Datum des letzten Abrufs

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