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Fritz Pascoe - ein Unternehmer mit Profil

Kapitel III: 1930-1970

Generationswechsel in bewegten Zeiten

Friedrich Samuel Jacob Pascoe, genannt Fritz Pascoe, stand vor einer großen Herausforderung, als er nach dem Tod seines Vaters im Mai 1930 dessen Nachfolge im Unternehmen antrat. Der am 21. September 1899 in Mülheim an der Ruhr geborene Sohn von Margareta und Friedrich Pascoe war während des Ersten Weltkriegs von der Schulbank direkt ins Feld gegangen. Nach bestandenem pharmazeutischem Vorexamen zog es ihn in die Ferne. Seit 1927 hatte er auf der Plantage eines Verwandten in der britischen Kolonie Cameroons (heute Kamerun) als Zahlmeister gearbeitet. Er wollte dort den Anbau von Heilpflanzen genauer kennenlernen.

Als Fritz Pascoe nach drei Jahren in Afrika 1930 nach Gießen zurückkam, fand er einen etablierten pharmazeutischen Betrieb vor. Vermutlich unterstützten ihn erfahrene Mitarbeiter seines Vaters, sodass der Wechsel in der Geschäftsleitung reibungslos verlief. In Gießen war der Jungunternehmer wegen seiner Leistungen im Brustschwimmen und als Wasserballspieler immer noch bekannt und beliebt. Er konnte an viele Kontakte anknüpfen und übernahm unmittelbar nach seiner Rückkehr den Vorsitz im Gießener Schwimmverein.

Die Wallstreet am 24. Oktober 1929

Fritz Pascoe kehrte allerdings in einer gesamtwirtschaftlich schwierigen Situation in die Heimat zurück. Was mit dem New Yorker Börsenkrach am 24. Oktober 1929 begonnen hatte, weitete sich zur Weltwirtschaftskrise aus, mit dramatischen Folgen auch in Deutschland. Große Unternehmen und Banken brachen zusammen, die Industrieproduktion knickte kräftig ein, 1930 waren bereits drei Millionen Menschen arbeitslos. Wachsende Armut und soziale Verunsicherung förderten die politische Radikalisierung der Bevölkerung, eine dichte Folge von Regierungskrisen schwächte das ohnehin fragile demokratische System der Weimarer Republik weiter. Bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 wurde die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) nach der SPD zur zweitstärksten Partei. In Gießen erreichte sie 19,4 Prozent der Stimmen.

Die Nationalsozialisten fanden Anhänger in allen Bevölkerungsgruppen, auch unter Naturheilkundlern. Aus der viel beschworenen Krise der Medizin heraus entstanden Ideen zu einer Synthese von Schulmedizin und alternativen Heilmethoden. Unter dem Begriff Neue Deutsche Heilkunde formierte sich eine Bewegung von Ärzten und Medizinern, die in Teilen der NSDAP nahestand. Als am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler die Nationalsozialisten an die Macht kamen, erwarteten viele Homöopathen, Heilpraktiker und Naturärzte eine Aufwertung ihrer Heilmethoden.

Das homöopathische Arzneibuch

Der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, hinterließ kein homöopathisches Arzneibuch. Erst der Arzt Carl Caspari (1798 - 1828) sammelte dessen Angaben zur Herstellung homöopathischer Arzneien und veröffentlichte sie 1825 im „Homöopathischen Dispensatorium für Ärzte und Apotheker“. Diesem Erstlingswerk folgten weitere Ausgaben. Zwischen 1845 und 1878 gab der Centralverein Homöopathischer Ärzte eine „Homöopathische Pharmakopöe“ heraus. Später erklärte der Verein die erstmals 1872 vom Hersteller homöopathischer Arzneimittel, Willmar Schwabe, veröffentlichte „Pharmakopoea homeopathica polyglottica“ zum allgemeingültigen Homöopathischen Arzneibuch.

Dessen gleichnamiger Sohn veröffentlichte 1901 „Dr. Willmar Schwabes Homöopathisches Arzneibuch“. Die zweite Auflage wurde 1934 durch eine Reichsverordnung offiziell anerkannt. 1978 erschien in der Bundesrepublik das erste amtliche Homöopathische Arzneibuch, kurz HAB 1. Bis heute sind Pascoe-Mitarbeiter als Mitglieder der Arzneibuchkommission an der Einarbeitung neuer Erkenntnisse in dieses Werk beteiligt.

Der Marktplatz von Gießen mit dem Einheits-Denkmal

Im Spannungsfeld von Politik und Ideologie

Das Klima für die Naturmedizin schien günstig. Systematisch erweiterte Fritz Pascoe den pharmazeutischen Betrieb seines Vaters. Er stellte eine ausgewogene Produktpalette mit einem Schwerpunkt auf Homöopathie und Biochemie zusammen und hatte Tinkturen, Urtinkturen, flüssige Potenzen, Globuli, Verreibungen, Tabletten sowie homöopathische Spezialsalben im Angebot. Die rund 50 homöopathischen Spezialkomplexe, die Friedrich Pascoe seinem Sohn hinterlassen hatte und die Namen wie Antis 1, Nervinum 3, Cordial 2, Pectoral 5 trugen, ergänzten Komplexmittel anderer Hersteller. Außerdem führte Pascoe Funktions- und Ergänzungsmittel nach Schüssler sowie Quellsalz-Pastillen und biochemische Salben.

Die Geschäfte liefen gut. Alternative Heilmethoden standen in den 1930er Jahren hoch im Kurs. Laienverbände wie der Biochemische Bund, der Prießnitzbund sowie die Anhänger von Hahnemann, Kneipp und Schüssler hatten Hunderttausende Mitglieder. In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gab es Schätzungen zufolge rund 770 homöopathisch tätige Ärzte und etwa 3.500 organisierte Heilpraktiker in Deutschland. 1935 gründete der Reichsärzteführer Dr. Gerhard Wagner die Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde, in der neben anderen Naturheilverfahren auch die Homöopathie vertreten war. Kurzzeitig sah es so aus, als wollten die Nationalsozialisten die Naturmedizin fördern.

Von dieser Entwicklung profitierten auch die Hersteller pharmazeutischer Präparate. Fritz Pascoe vertrieb unter seinen eingeführten Markenbezeichnungen Arzneien gegen Grippe, Rheuma, Magen-, Darm- und Herzleiden sowie gegen Schlafstörungen. Auch medizinische Weine, Massageöle und Tees gehörten zum Programm. Hinzu kamen „Reform-Präparate nach Burtschell“. Im März 1939 hatte Fritz Pascoe mit der Ernährungsexpertin Barbara Burtschell aus Mainz einen Vertrag geschlossen, wonach er 26 ihrer Präparate in sein Sortiment übernahm: Nährsalze, Pastillen, Hautfunktionsöle, Ohrenbalsam und Hustentropfen, Wacholderhonig, Leber- und Gallentropfen sowie Stärkungsmittel für Herz, Nerven und Magen.

Naturheilkunde im zweiten Weltkrieg

Die Naturheilkunde erfuhr 1939, noch kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September, größere Anerkennung. Niedergelassene Ärzte konnten nach einer Änderung der Berufsordnung Naturheilverfahren anbieten, einige Universitäten und Kliniken begannen, sich intensiver mit „biologischen Verfahren“ zu beschäftigen. Das „Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung“ vom 17. Februar 1939 schuf die rechtliche Grundlage für die Berufsbezeichnung Heilpraktiker.  Andererseits machte das Heilpraktikergesetz diese Tätigkeit von einer staatlichen Genehmigung abhängig und führte zu einer Nachwuchssperre, weil nur diejenigen „Personen, die bisher schon die Heilkunde ausgeübt hatten und wie die gegenwärtigen HP-Schüler den Antrag auf Zulassung stellen konnten“.  Die nötige Praxiserlaubnis erhielten daher nur sehr Wenige.

Im staatlichen Gesundheitswesen gab die Schulmedizin eindeutig den Ton an. Immer häufiger wetterte Reichsärzteführer Wagner gegen angebliche „Extremisten“ und „Dogmatiker“ aus der Naturheilkunde. Er forderte die Einhaltung gesundheitspolitischer Maßnahmen wie die strikte Befolgung der Impfgesetze. Seit Kriegsbeginn setzte das Regime alles daran, eine ärztliche Notversorgung sicherzustellen, für alternative Methoden blieb kaum noch Raum. Das Gesundheitswesen wurde zum Machterhalt instrumentalisiert und unterlag straffen Regelungen. Das bekam auch Fritz Pascoe zu spüren, als er im März 1943 von der Reichsapothekerkammer aufgefordert wurde, seinen Firmennamen zu ändern. Er musste auf den Zusatz Apotheker verzichten, da er selbst kein Apotheker war. Sein Unternehmen firmierte seither als Friedrich Pascoe Pharmazeutische Präparate. Die Herstellung und der Vertrieb der Produkte gingen während des Krieges weiter, allerdings mit Einschränkungen. Die Nachfrage nach den eingeführten Arzneien bestand, so sicherlich fort, immer häufiger fehlten jedoch Rohstoffe. Fritz Pascoe selbst wurde eingezogen und leistete seinen Militärdienst als Sanitäter.

Für die wenigen verbliebenen Mitarbeiter wurden die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs vor allem im Alltagsleben immer stärker spürbar. Im Dezember 1944 war Gießen mehrmals Ziel von Bombenangriffen. Auch das damalige Betriebsgebäude von Pascoe wurde völlig zerstört, sodass die reguläre Produktion endete. Als am 27. März 1945 US-amerikanischen Truppen in Gießen eintrafen, war die Innenstadt zu 90 Prozent zerstört. Verwaltung, Versorgung und Verkehr funktionierten kaum noch.

Bei Kriegsende lag fast die gesamte Gießener Innenstadt in Schutt und Asche

Nachkriegsjahre

Nach Gießen zurückgekehrt, nahm Fritz Pascoe mit einem kleinen Kreis treuer Mitarbeiter in behelfsmäßigen Räumen den pharmazeutischen Betrieb wieder auf. In der unmittelbaren Nachkriegszeit musste überall improvisiert werden. Erst in den Jahren 1948/49 kehrte allmählich wieder Normalität ein: Die Währungsreform schuf im Juni 1948 mit der Einführung der D-Mark stabile wirtschaftliche Verhältnisse, Pascoe fand in der Bleichstraße 7 geeignete Räume für sein Unternehmen.

Der Markt für seine Produkte entwickelte sich gut, denn alternative Heilverfahren, allen voran Homöopathie und Phytotherapie, erfreuten sich großer Beliebtheit. Seit den späten 1940er Jahren erschienen wieder Fachzeitschriften wie Naturarzt und Hippokrates, naturheilkundliche Vereine und Ärzteverbände gründeten sich neu. Die pharmazeutische Industrie organisierte sich 1951 im Bundesverband (BPI), dem Fritz Pascoe als Gründungsmitglied beitrat.

In der Bleichstraße produzierte Fritz Pascoe zu Beginn der 1950er Jahre mit etwa 15 Mitarbeitern phytotherapeutische Spezialitäten und homöopathische Komplexmittel. Die Ausstattung im Keller des Gebäudes war einfach: Es gab zwei Verreibungsmaschinen, um pulvrige Präparate herzustellen, und eine Tubenabfüllmaschine für Salben. Pascoe hatte sie von der Gießener Senffabrik Quambusch übernommen und für die eigenen Zwecke eingerichtet. Mit zwei Pressen fertigte man Tabletten, die mithilfe eines Holztrichters in Röhrchen verpackt wurden. Flüssige Arzneien füllten Mitarbeiterinnen per Hand in vorbereitete Fläschchen, die sie anschließend verkorkten. Ein Apotheker setzte die Tinkturen an, eine Chemikerin führte die Qualitätskontrollen durch. Fritz Pascoe und sein Prokurist bearbeiteten im Büro die Aufträge.

Der Unternehmer und seine Belegschaft waren eine eingeschworene Gemeinschaft. Während Fritz Pascoe selbst Mitarbeiter in der Produktion anleitete, unterstützten sich die Kollegen gegenseitig bei ihren Aufgaben, denn klar definierte Arbeitsbereiche gab es kaum. Abends brachte eine Mitarbeiterin die Tagesproduktion mit einem Handwagen zur Post. Alle wussten, wie eng die finanzielle Situation war. Nur wenn pünktlich geliefert wurde und die Kunden rechtzeitig ihre Rechnungen beglichen, konnte Pascoe freitags den Wochenlohn zahlen. Doch die Geschäfte kamen in Gang und in der Bleichstraße wurde es langsam zu eng. Fritz  Pascoe  wagte  den ersten Expansionsschritt.

Neuer Standort Schiffenberger Weg

Neuer Standort Schiffenberger Weg

Am Schiffenberger Weg, in einem neu entstehenden Industriegebiet am Stadtrand von Gießen, fand Fritz Pascoe einen Standort für sein wachsendes Unternehmen. Seine Ehefrau Inge, die nach der Hochzeit 1950 mit ihren beiden Töchtern Marion und Birgit aus erster Ehe nach Hessen gezogen war, bestärkte ihn, auch wenn der Kauf des Grundstückes durch einen Bankkredit finanziert werden musste.

Als Pascoe 1952 umzog, standen auf dem Gelände nur eine ehemalige Wehrmachtsbaracke und die Werkshalle eines metallverarbeitenden Betriebs. Finanzielle Reserven fehlten, sodass die Mitarbeiter Altpapier sammelten, um Dachlatten zu kaufen, aus denen Regale gebaut wurden.

Für die Motorisierung machte Fritz Pascoe Geld locker, denn er hatte ein Faible für Fahrzeuge: Für das Unternehmen schaffte er einen dreirädrigen Kleintransporter Goliath an, mit dem die Waren zum Bahnhof transportiert wurden, privat nutzte er einen Borgward. Damit gehörte Fritz Pascoe nach dem Zweiten Weltkrieg in Gießen zu den ersten Autobesitzern.

Die Anfänge des Unternehmens im Schiffenberger Tal waren bescheiden, das Wachstum aber unübersehbar. Mitte der 1950er Jahre arbeiteten bereits etwa 30 Beschäftigte auf einer Fläche von 600 Quadratmetern. Sie bedienten inzwischen sechs Verreibungs- und drei Tablettiermaschinen. Auch zwei Trockenschränke, Salbenmühlen und Tinkturpressen sowie eine Tubenabfüll- und Schließmaschine standen zur Verfügung. Eine Flaschenspülanlage, eine komplette Ampullen-Apparatur mit Destillierer und Sterilisierer sowie zwei Kugelmühlen erleichterten die Arbeit. Mitten auf dem Betriebsgelände ließ Pascoe einen Heilpflanzengarten anlegen. 1956 begann er zudem mit dem Bau eines Wohnhauses für seine Familie, gerade rechtzeitig, bevor das „Baukind“ Jürgen, der einzige Sohn des Ehepaars, geboren wurde.

Betrieb 50er Jahre: Frau an Schreibmaschine
Betrieb 50er Jahre: Mann an Maschine
Betrieb 50er Jahre: Mann bei der Arbeit
Betrieb 50er Jahre
Betrieb 50er Jahre: Frauen in der Produktion
Betrieb 50er Jahre: Mann an Maschine
Betrieb 50er Jahre: Mann beim Abfüllen
Betrieb 50er Jahre: Belegschaft
Historische Produktabbildung Hocura femin

Als das Wirtschaftswunder Ende der 1950er Jahre in Westdeutschland Fahrt aufnahm, erhöhten sich die Ausgaben für Medikamente, in der Schulmedizin wie im Rahmen alternativer Heilverfahren. Homöopathie, Phytotherapie und andere Ansätze erlebten unter dem Begriff Ganzheitsmedizin enormen Aufwind. Erbittert geführte Kämpfe zwischen verschiedenen Richtungen verloren an Bedeutung und machten Platz für Vielfalt in der Medizin. Seit 1956 konnten Ärzte die Zusatzbezeichnung Homöopathie führen, 1957 wurde die Bestallungsordnung, später Approbationsordnung, um eine Prüfung im Fach Botanik erweitert, die die wichtigsten Heilpflanzen berücksichtigte. Kontinuierlich steigerte Pascoe den Absatz seiner pharmazeutischen Präparate. Sie wurden von Heilpraktikern verordnet und von Patienten geschätzt. Zum Sortiment gehörten Injektionspräparate, Pascoe-Komplexe und -Spezialitäten sowie Komplexe und Spezialitäten unter dem Warenzeichen Hocura.

Diverse historische Produktabbildungen

Die Wirkung von homöopathischen Mitteln musste belegt werden, um die Akzeptanz bei Ärzten, Heilpraktikern und Apothekern zu erhöhen, am besten mit klinischen Studien. Neben dieser Anforderung, die alle Hersteller betraf, bestand bei Pascoe noch ein besonderes Problem. Das Sortiment umfasste mehr als 6.000 Arzneien, darunter über 200 Komplexmittel, eine enorme Vielfalt, die in der Produktion und im Vertrieb immer größere Schwierigkeiten bereitete. Fritz Pascoe suchte nach Wegen, um sein Programm zu strukturieren. Ein erster Schritt war 1961 die Gründung einer wissenschaftlichen Abteilung, die die Entwicklung und Prüfung von Präparaten auf eine sichere Basis stellte.

Betrieb 50er Jahre: Mann in der Produktion
Betrieb 50er Jahre: Frauen bei der Arbeit
Betrieb 50er Jahre: Frauen beim Sortieren
Betrieb 50er Jahre: Frauen beim Mittag
Betrieb 50er Jahre: Frauen bei der Arbeit

Zwei Mediziner, eine Zeitschrift und viel frischer Wind

Bei einem Heilpraktikerkongress in Wetzlar lernte Fritz Pascoe Dr. Horst F. Herget (1921 - 2001) kennen, der als Pionier der Schmerztherapie in Deutschland gilt, und Dr. Helmut W. Schimmel (1928 - 2003). Diese Begegnung gab dem Pharmazie-Hersteller und insbesondere der wissenschaftlichen Abteilung entscheidende neue Impulse. Die Studienfreunde betrieben jeweils eine zahnärztliche Praxis und waren zusätzlich als Heilpraktiker tätig. Beide hatten nach dem Zahn- auch ein Humanmedizinstudium abgeschlossen und orientierten sich in ihrer Arbeit an Konstitutionsmedizin und Irisdiagnostik, Heilverfahren, die gut zur pharmazeutischen Ausrichtung von Fritz Pascoe passten. Schnell einigten sich die Männer über eine Zusammenarbeit. Herget und Schimmel begannen, aus Pascoes Sortiment rund 100 Komplexmittel auszuwählen und sie zu einem System mit dem Namen Similiaplexe zusammenzustellen. Der Grundstein für die bis heute bestehende Familie von Komplexmitteln wurde gelegt.

Herget und Schimmel engagierten sich darüber hinaus als Referenten. Über viele Jahre hinweg stellten sie die Pascoe-Produkte sowie die Konstitutionsmedizin und Irisdiagnostik bei Ärzte- und Heilpraktikerkongressen vor. Oft präsentierte Fritz Pascoe seine Produkte unterdessen an einem Stand. Ende der 1960er Jahre nahmen bis zu 300 Interessierte an Pascoes Similiaplex-Tagungen im Frühjahr und im Herbst in der Gießener Kongresshalle teil. Zusätzlich hielten Herget und Schimmel in vielen deutschen Städten Vorträge, zu denen Pascoe die ortsansässigen Ärzte und Heilpraktiker einlud. Auch hier war der Zuspruch groß. Während Pascoe mit diesen Veranstaltungen das Informationsbedürfnis stillte, erweiterte er zeitgleich den Außendienst und kurbelte damit den Absatz an. Die Vertreter hatten dabei viel Überzeugungsarbeit zu leisten, denn viele Ärzte und Heilpraktiker kannten Pascoe und die Pascoe-Produkte nicht. Es brauchte viel Mühe und Geduld, um dies zu ändern.

Für die weitere Entwicklung spielte die wissenschaftliche Abteilung von Herget und Schimmel eine immer größere Rolle. Die beiden Mediziner initiierten mit Heilpraktikern und Ärzten zahlreiche klinische Langzeitprüfungen, um die Wirksamkeit von Präparaten zu belegen. Die Ergebnisse veröffentlichte Pascoe ab 1962 in der Hauszeitschrift Acta Biologica einer medizinisch-wissenschaftlichen „Zeitschrift für angewandte Homöo-Phytotherapie, Ganzheitsbehandlung und Sondermethoden der Medizin“. Die Publikation richtete sich an Ärzte und Heilpraktiker, aus ihrem Kreis kamen auch die Autoren. Mit besonders vielen Beiträgen ragten Herget und Schimmel heraus. Die „Acta“ und ihre Themen waren weit gefächert. Es ging um die Behandlung chronischer Krankheiten, um Schmerztherapie, Kinderheilkunde oder manuelle Therapien. Die Zeitschrift informierte darüber hinaus über medizinische Themen von der Ernährung über Chakren bis zur Traditionellen Chinesischen Medizin. Eine zentrale Rolle spielte immer wieder die Konstitutionsmedizin, auf der das Heilkonzept von Herget und Schimmel basierte.

Die Konstitutionstherapie sowie der verstärkte Austausch mit der Fachöffentlichkeit und der wissenschaftlichen Forschung gaben Pascoe ein neues Profil. Das Unternehmen gewann unter Ärzten und Heilpraktikern an Bekanntheit, was sich auch im wirtschaftlichen Erfolg widerspiegelte. In der Versand-Abteilung herrschte in den 1960er Jahren ein „fast hektischer Betrieb“. Pascoe belieferte inzwischen neben Ärzten und Heilpraktikern fast alle Großhandlungen und Apotheken Westdeutschlands. Viermal täglich verließen Lieferungen das Warenlager, damit sie schnellstmöglich zu den Kunden gelangten.

Konstitutionsmedizin und Irisdiagnostik

Die Konstitution eines Menschen, das heißt seine Verfassung und der Zustand seines Körpers, war in der Heilkunde seit jeher von großer Bedeutung, trat in der modernen Medizin des 20. Jahrhunderts jedoch zunehmend in den Hintergrund. Pascoes Mediziner Herget und Schimmel verstanden unter Konstitution die anlagebedingte individuelle Ganzheit des einzelnen Menschen. Viele Faktoren beeinflussen diese Summe aller angeborenen Eigenschaften, von Umweltbelastungen bis zu psychosozialem Stress. Das schwächste Organ reagiert auf zu starke Reize krankhaft; diese Schwachstelle, die Disposition, gilt als die ererbte oder erworbene Bereitschaft des Organismus, auf schädliche Reize mit Krankheit zu antworten. Behandlungen mit Phytopharmaka und Homöopathika basierten zumeist auf der klassischen Humoralmedizin oder Säftelehre, die im 20. Jahrhundert von Bernhard Aschner (1883 - 1960) modernisiert worden war.

Schimmel erweiterte die Bestimmung der Konstitution und die daraus folgende Therapie um ein Kriterium: die Konstitution und Disposition aus dem Auge. Als diagnostische Methode war die Irisschau, die von der Pigmentierung des Auges auf die Konstitution eines Menschen schließt, bereits seit Langem bekannt. Sie wurde erstmals im 19. Jahrhundert vom ungarischen Arzt Ignaz von Péczely angewendet, auch „Lehmpastor“ Emanuel Felke vertraute dieser Methode. Zu den einflussreichsten Iridologen zählt der Heilpraktiker Josef Deck (1924 - 1990), der 1952 die Ettlinger Internationalen Kurse für Irisdiagnostik ins Leben rief. Schimmel und Herget entwickelten auf dieser Basis für Pascoe das Rezept aus dem Auge. Mithilfe eines Konstitutionsschemas wählte der Behandler die passenden Komplexhomöopathika und Phytotherapeutika aus.

Historische Produktabbildung Bardana
Historische Produktabbildung Ambra
Historische Produktabbildung Vicordin
Historische Produktabbildung Hydrocotyle
Historische Produktabbildung Pastillen
Historische Produktabbildung Kongresstablette
Historische Produktabbildung Hepaticum
Historische Produktabbildung Tees
Historische Produktabbildung Fundament Salz
Historische Produktabbildung Infekt Pasciolen

Lösungen, Vitamine und mehr

Durch die engen Kontakte zu Medizinern in Praxen und Kliniken erschloss Pascoe neue Geschäftsfelder. In einer eigenen Ampullen- und Infusions-Abteilung wurden Kochsalz-, Ringer-und andere Lösungen für den Krankenhausbetrieb hergestellt. Dafür hatte das Unternehmen investiert: Leistungsstarke Automaten befüllten die Ampullen und Infusionsflaschen, die Sterilisation erfolgte in Autoklaven. Bis zu 1.000 Liter Infusionslösungen konnten nach den strengen Hygieneregeln täglich produziert werden. Hinzu kamen die Injektionspräparate Injektopas, in die Pascoe große Hoffnungen setzte, denn Wirkstoffe in einer Injektion eröffneten neue Therapiemöglichkeiten. Dies galt insbesondere auch für verschiedene Vitamine, die ebenfalls als Injektionen in hoher Dosierung angeboten wurden.

Ernährung spielte in der Naturheilkunde bereits seit dem 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle, gewann in der Wohlstandsgesellschaft der Wirtschaftswunderjahre aber eine neue Bedeutung. In dem Maße, wie sich die Nahrungsgewohnheiten veränderten und beispielsweise der Verzehr von dunklem Brot zurückging, traten Mangelerscheinungen und Zivilisationskrankheiten auf. Vitalstoffe sollten die Defizite ausgleichen. Pascoe warb vor allem für die Multivitamintherapie: Multivitamin-Dragées-Pascoe enthielten zum Beispiel neun verschiedene Vitamine, die vor allem bei Erschöpfungszuständen Linderung versprachen. Das Mittel sollte jedoch ausdrücklich „Lückenbüßer“ sein und nur solange genommen werden, „bis eine ausgeglichene Ernährung dem gesundeten Organismus wieder die Möglichkeit gegeben hat, aus der Nahrung all das zu beziehen, was er zu seiner Erhaltung notwendig braucht“. Mit diesem Ansatz und den dazugehörigen Produkten legte Pascoe eine wichtige Grundlage. Vor allem hochdosierte Vitaminpräparate in Tabletten oder Injektionen sind bis heute ein wichtiger Baustein des Sortiments, mit dem Pascoe sich im Wettbewerb abhebt.

Historische Anzeige Redox-Injektopas
Im chemisch-analytischen Kontroll-Labor
Die als Rundläufer bekannten Tablettiermaschinen
Im Tinkturenkeller lagerten die fertig gestellten Tinkturen
Historisches Heft Gripps

Moderne Fabrik für pharmazeutische Präparate

Wie erfolgreich das Programm aus homöopathischen und phytotherapeutischen Präparaten war, beweist das Wachstum des Unternehmens. 1969 produzierte Fritz Pascoe mit rund 100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf einer mehr als 5.000 Quadratmeter großen Betriebsfläche. Aus dem handwerklich geprägten Kleinbetrieb war ein Unternehmen mit industrieller Fertigung geworden.

In drei Gebäuden waren die Produktion, die kaufmännische Verwaltung sowie das pharmazeutische Kontroll-Labor, die medizinisch-wissenschaftliche Abteilung sowie Lager- und Verpackungsräume untergebracht. Die Tinkturen, Alkohol und feste Substanzen lagerten sicher in Kanistern und Tanks im Kellergeschoss, wo sich auch eine hydraulische Spezialpresse für Frischpflanzensäfte und Tinkturenansätze befand. Der gesamte Produktionsprozess von der Herstellung der Tinkturen und Urtinkturen aus frischen und getrockneten Pflanzen über die Fertigung der Arzneien bis zu Verpackung und Versand erfolgte am Standort Schiffenberger Weg. Die Anlagen hatte Fritz Pascoe stetig verbessert: Pulver in homöopathischer Potenzierung wurde von Verreibungsmühlen mit hohem Feinheitsgrad hergestellt, Tablettiermaschinen fertigten bis zu 36.000 Tabletten pro Stunde. In großen rotierenden Kupferkesseln wurden die Dragierkerne durch mehrmaliges Beschichten mit einer wohlschmeckenden Dragiermasse überzogen und anschließend geglättet und poliert. Statt einer zuckerhaltigen Lösung verwendete Pascoe inzwischen eine diabetikergerechte Lasur. Flüssige Präparate wie die Similiaplexe wurden in einer vollautomatischen Anlage abgefüllt, die 3.600 Fläschchen pro Stunde schaffte. Salbenschmelzkessel, Homogenisiergeräte für Emulsionen sowie Spezialautomaten für das Gießen und Einschweißen von Suppositorien in Aluminiumfolien vervollständigten den Maschinenpark.

Historisches Heft Justi
Historisches Heft Legapas
Historisches Heft Palatol
Historisches Heft Stronglife

Auf einem festen Platz

Bei allen Modernisierungen in der Produktion blieben das Kontroll-Labor und die wissenschaftliche Abteilung die Herzstücke des Unternehmens. Während das Labor unter Leitung einer erfahrenen Chemikerin die Qualität der Ausgangsmaterialien und Präparate sicherte, ermöglichten die Wissenschaftler die Entwicklung neuer Präparate. Sie hielten den Kontakt zu Universitäten und wissenschaftlichen Instituten, um medizinisch-pharmakologisch auf dem neuesten Stand zu bleiben; außerdem standen sie im Austausch mit den Praktikern. So erfuhren sie, wie die Pascoe-Präparate wirkten und wo Verbesserungen in der Anwendung nötig waren. 

Zwar waren der Schulmedizin nach dem Zweiten Weltkrieg große Erfolge bei der Bekämpfung akuter, lebensbedrohlicher Krankheiten gelungen, doch bei chronischen Erkrankungen oder sogenannten Zivilisationsschäden war sie oftmals ratlos. Hier vertrauten viele Patienten auf einen ganzheitlichen Ansatz und eher auf pflanzliche Arzneien als auf Chemikalien. Das Unbehagen bei Medikamenten wuchs angesichts von vielfältigen unerwünschten Nebenwirkungen, sodass die Naturmedizin mit ihren natürlichen Arzneimitteln und Wirkstoffen weiteren Auftrieb erhielt. Pascoe hatte auf dem Gebiet der homöopathischen, biologischen und phytotherapeutischen Präparate einen festen Platz eingenommen.

Fritz Pascoe hatte den Betrieb innerhalb von 40 Jahren zu einem mittelständischen Unternehmen der Pharmabranche entwickelt. Er blieb als Geschäftsführer über alle Neuerungen und Erweiterungen hinweg die Leitfigur. Selbst mit großer Vitalität gesegnet, er schwamm auch im fortgeschrittenen Alter regelmäßig in der Lahn, führte er Pascoe mit Charisma. Er ließ Raum für neue Ideen und nahm seine Mitarbeiter durch Großzügigkeit für sich ein. Umso härter traf es Pascoe, als der Unternehmer am 18. Juni 1970 starb. Inge Pascoe, die ihren Mann immer unterstützt hatte, stand nun vor einer ähnlich großen Herausforderung, wie Fritz Pascoe 40 Jahre zuvor. Das Unternehmen war gut aufgestellt, brauchte aber eine klare Führung, um seine gute Position zu halten.

Historische Produktabbildung Justi
Historische Produktabbildung Gripps
Historische Produktabbildung Palatol
Historische Produktabbildung Stronglife